Hamburgs Wohnungsbaugenossenschaften kritisieren Vereinbarung des Senats mit den Volksinitiativen
- Vorstand Matthias Saß: „Wer überall nur Miethaie sieht, der hat das Prinzip einer Genossenschaft nicht verstanden.“
- Hamburgs Genossenschaften erwarten einen deutlichen Rückgang beim Bau bezahlbarer Wohnungen.
- 100jährige Mietpreisbindung ist mit den Grundsätzen einer ordentlichen Geschäftsführung nicht vereinbar.
Hamburg. Hamburgs Wohnungsbaugenossenschaften fürchten, dass wegen der Vereinbarung des rot-grünen Senats mit den Volksinitiativen „Keine Profite mit Boden und Miete“ der Neubau bezahlbarer Wohnungen auf absehbare Zeit massiv behindert wird.
„Ich gehe davon aus, dass unter den neuen Rahmenbedingungen in den kommenden Jahren keine Genossenschaft auf städtischem Boden neue Wohnungen errichten wird“, sagt Matthias Saß, neu gewählter Vorsitzender des Vereins Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften und Vorstand der Allgemeine Deutsche Schiffszimmerer-Genossenschaft eG. „Hauptgrund ist die Vereinbarung, nach der städtische Grundstücke künftig nur noch im Wege des Erbbaurechts vergeben werden dürfen. Das macht es für uns Genossenschaften quasi unmöglich, zu bauen.“
Hamburgs Wohnungsbaugenossenschaften seien Bestandshalter, die ein Grundstück nur dann erwerben würden, wenn sie darauf ein Gebäude mit Wohnungen errichten könnten, sagt Matthias Saß. „Die Genossenschaften beweisen über alle Krisen hinweg seit mehr als 120 Jahren, dass sie soziale Vermieter sind, die ihren Mitgliedern Wohnraum in hoher Qualität zu bezahlbaren Preisen dauerhaft zur Verfügung stellen. Sie haben sich den Vertrauensakt eines Grundstücksverkaufs redlich verdient und sind sich ihrer Verantwortung auch als Selbstverpflichtung sehr bewusst.“
Den Genossenschaften jetzt de facto zu unterstellen, sie würden mit Baugrund spekulieren wollen, zeuge von einer durch Ideologie geprägten Sicht auf den Wohnungsmarkt, so Matthias Saß. „Wer aber überall nur Miethaie sieht, der hat das Prinzip einer Genossenschaft nicht verstanden. Genossenschaften sichern den sozialen Frieden in ihren Quartieren, kümmern sich um stabile Nachbarschaften und sind die eigentliche Mietpreisbremse.
In Hamburg liegt bei den Genossenschaften die durchschnittliche Nettokaltmiete im Monat bei 7,10 pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Der Wert des Hamburger Mietenspiegels liegt bei 9,29 Euro.“ All das als Grundprinzip und Selbstverständnis.
Sozialpolitische Leistung der Genossenschaften wird nicht gewürdigt
Mit der Festlegung, Genossenschaften dürften städtische Grundstücke nur noch pachten, signalisiere man ihnen, dass man ihre sozialpolitische Leistung der vergangenen Jahrzehnte nicht zu würdigen wisse, sagt Matthias Saß. „Zudem macht man diesen Unternehmen das Wirtschaften im Sinne der Mitglieder, Mieterinnen und Mieter schwer. Wer ein Grundstück nur pachten darf, bekommt bei der Kreditvergabe von den Banken ggf. deutlich schlechtere Konditionen eingeräumt.“
„Die Stadt betont seit Jahren, wie wichtig die Genossenschaften als Pfeiler des sozialen Friedens und bezahlbaren Wohnens für Hamburg sind“, sagt Matthias Saß weiter. „Um das zu unterstützen, hätten wir jetzt besondere Unterstützung gebraucht, anstatt uns weitere Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Die Vereinbarung mit den Initiativen wird dazu führen, dass die wir nur noch auf eigenen Grundstücken bauen können.“
Der rot-grüne Senat hatte in seinem Koalitionsvertrag ursprünglich beschlossen, dass öffentliche Grundstücke unter bestimmten Bedingungen für die Schaffung von Wohnraum verkauft werden dürfen.
„Schon diese Einschränkung hat dazu geführt, dass in den vergangenen beiden Jahren, von einem Sonderfall abgesehen, keine Wohnungsgenossenschaft ein städtisches Grundstück im Wege des Erbbaurechts genutzt und darauf Wohnungen errichtet hat“, sagt Matthias Saß weiter.
Die in der vergangenen Woche mit den Initiativen getroffene Vereinbarung sieht nun eine Verschärfung der bisherigen Regelung vor. Demnach soll jetzt in der Hamburgischen Verfassung verankert werden, dass öffentliche, für den Wohnungsbau vorgesehene Grundstücke nur im Wege des Erbbaurechts vergeben werden dürfen.
„Damit legt man die Axt an den Bau bezahlbarer Wohnungen und deren dauerhafte Bestandshaltung“, sagt Matthias Saß.
Keine Genossenschaft kann sich auf eine 100jährige Mietpreisbindung einlassen
Auf großes Unverständnis stößt bei den Genossenschaften die Vereinbarung, für 1000 jährlich neu zu bauende Wohnungen eine 100-jährige Mietpreisbindung auf einem Niveau unterhalb des Mittelwertes des Mietenspiegels festzulegen.
„Kein Genossenschaftsvorstand kann so eine Verpflichtung eingehen“, sagt Matthias Saß. „Man würde Gefahr laufen, gegen die Grundsätze einer ordentlichen Geschäftsführung zu verstoßen. Zudem bin ich skeptisch, dass sich Banken finden lassen, die eine Finanzierung auf so einen langen Zeitraum und unter diesen Rahmenbedingungen ermöglicht.“
Matthias Saß wurde in der vergangenen Woche auf einer Mitgliederversammlung zum neuen Vorsitzenden des Vereins Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften gewählt. Er folgt auf Alexandra Chrobok, Vorstand des Eisenbahnbauvereins Harburg, die für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung stand.
06/11/2022