16 D I E 4 - M I N U T E N -VO R L E S E G E S C H I C H T E Und wer zieht hier ein? VON MARIE-THÉRÈSE SCHINS Marie-Thérèse Schins ist Autorin und Malerin. Sie hat meh- rere Kinderbücher veröffentlicht und ist Mitglied der Elbautoren. marie-therese-schins.de Wisst ihr schon das Neueste vom Bu- chenweg?“ Jule grinst frech. Im Buchen- weg wohnen Jan, Steffi, Tessi, Toni, Jule, Max, Malte und Dirk. Einige von ihnen wohnen in großen, andere in kleineren Häusern. Und ein paar von ihnen können von ihrem Zuhause aus sogar die Elbe sehen, auf der dicke und dünne Schif- fe hin- und herfahren. Aber: Da gibt es noch etwas ganz anderes in der ruhigen Straße. Es ist ein uraltes, winziges Häuschen, das so aussieht, als würde es sich vor den anderen Häusern ducken. An dem Häuschen ist alles klein. Das Dach aus dunklem Reet, die Fenster und auch die Klöntür, von der grünliche Farbe abblät- tert. Man klappt die obere Hälfte der Tür auf und kann klönen, mit denen, die gerade vorbeikommen. Das alte Häuschen in Blankenese steht seit einer Weile leer. Es ist das älteste Häuschen in der ganzen Gegend. Mindestens 250 Jahre steht es da schon. „Da will jemand einziehen“, sagt Jule. „Aber niemand in der Stra- ße weiß mehr. Das wollen wir zusammen herausfinden, oder? Als Erste, wetten?“ Als die acht Buchenwegkinder am nächsten Tag nach der Schu- le auf den Fahrrädern um die Ecke in ihre Straße biegen, hören sie laute Radiomusik und Männerstimmen. Die Fenster vom kleinen Häuschen sind weit geöffnet. Sie halten an, springen von ihren Fahr- rädern. Die Maler sind da! „Wollen wir die Männer mal fragen, wer hier einzieht?“, fragt Jule. „Können wir mal versuchen“, sagt Max, der älteste von den Buchenwegkindern. „Na, Kinners?“ Einer der Männer, der am Fenster arbeitet, blin- zelt sie aus knallblauen Augen freundlich an. Jule macht, wie fast immer, als Erste den Mund auf: „Und wer zieht hier ein?“ „Keine Ahnung. Mein Kumpel Fiete und ich werden ein paar Tage in diesem Puppenhaus arbeiten, und wir müssen mächtig auf- passen, dass wir uns nicht ständig am Kopf stoßen. Stimmt doch Fiete, oder?“ „Yo, Manni, stimmt!“, ruft eine tiefe Männer- stimme irgendwo aus dem Hintergrund. „Vor allem da oben nicht.“ Manni zeigt mit dem Farbpinsel zur De- cke: „Da müssen Fiete und ich fast auf Händen und Füßen kriechen, um anzustreichen. Ist eine hübsche Höhle da oben, wie im Märchen. Fehlen nur noch Zwerge, die habe ich noch nicht gesehen.“ Die Kinder sehen sich an. Vor einigen Tagen ist es Jule, Max, Steffi und Toni gelungen, sich mit einem alten Schlüssel aus der Sammlung von Jules Mama heimlich und bei Dun- kelheit im alten, noch leer stehenden Häuschen umzu- sehen. Alle vier waren total begeistert und ziemlich traurig, dass sie dort nicht einziehen konnten, zusam- men mit den anderen vier Buchenwegkindern. Dann ist der Umzugswagen da. „Und wer zieht hier ein?“ Jule will es endlich wissen. „Eine Frau“, brummelt der Umzugsmann und nimmt einen Karton huckepack, auf dem Bücher steht. „Schon bald,“ sagt er und bückt sich, um dann durch die dunkelgrüne, frisch angestri- chene Klöntür zu gehen. Er dreht sich noch mal um: „Die Frau hat mehr Bücher als Möbel.“ Und weg ist er. Plötzlich fährt knatternd ein verbeultes Auto um die Ecke und hält hinter dem Umzugswagen, wo Jan, Steffi, Tessi, Toni, Jule, Max, Malte und Dirk noch stehen. Die Fahrertür wird mit Schwung ge- öffnet. Eine kleine Frau steigt aus. „Die ist ganz schön alt“, flüstert Jule, „mindestens sechzig oder so ähnlich.“ Die grauen Haare sind kurz geschnitten und sehen struppig aus. Sie hat grüne Augen, trägt schwarze, enge Jeans und ein knallrotes T-Shirt. „Werden wir Nach- barn?“, fragt sie lächelnd. „Ich heiße Änne Harms.“ „Wir, äh, wir sind die Buchenwegkinder, und ähäm …“ Jule stot- tert, was ihr fast nie passiert, und plötzlich hält sie sogar den Mund. „Die Buchenwegkinder. Wie heißt ihr?“ „Ich bin Tessi und gehe mit meinem Zwillingsbruder Jan in die Zweite.“ Nach Tessi sagen alle nacheinander ihren Namen. „Ui, das kann ich heute noch nicht alles behalten. Ich habe schon Mühe, die Namen von meinen neun Geschwistern und deren 27 Kin- dern zu behalten. Wisst ihr was? Wenn ich hier in ein paar Tagen den Durchblick habe, dann besucht mich nach der Schule. Bis dahin habe ich den Milchtopf, die Dose mit Kakaopulver und die Becher ausge- packt. Dann trinken wir heiße Schokolade und erzählen uns was. Habt ihr Lust?“ Neun Geschwister … Die Kinder stehen mit offenem Mund da und vergessen, Ja zu sagen. Aber das ist auch so klar, oder? Jetzt wissen die Kinder immerhin ein bisschen, wer einzieht. Als Erste im Buchenweg. WARUM HEISST DER MICHEL MICHEL? Hast du dich auch schon mal gefragt, warum eine Kirche heißt wie der Junge aus den Astrid-Lindgren-Büchern? Eigentlich heißt sie „Hauptkirche Sankt Michaelis“, weil sie dem Erzengel Michael geweiht ist. Sie wurde erstmals 1647 aufgebaut und gehört einfach schon so lange dazu, dass man ihr einen Spitznamen gegeben hat, nämlich „Michel“. AUSGABE WINTER 2019/2020 WIE LANG IST DER ALTE ELBTUNNEL? 470 Meter = 52 ausgewachsene Pythons WIE SCHWER IST DIE ELPHI? 200.000 Tonnen = 33.000 Afrikanische Elefanten