Ursprünglich sollte das Erbbaurecht gegen Wohnungsnot helfen Als am 15. Januar 1919 das deutsche Erb- baurechtsgesetz verabschiedet wurde, war das eine gute Idee. Das Ziel, auch in Hamburg, bestand darin, der vorherrschenden Woh- nungsnot staatlicherseits etwas entgegen- zusetzen. Nach dem Ersten Weltkrieg dräng- ten Rückkehrer und Flüchtlinge in die Stadt und verschärften die Wohnungsnot. In dieser Situation sollte das Erbbaurecht helfen, nicht nur den Bau von (bezahlbaren und modernen) Wohnungen anzukurbeln. Vor allem sollten Menschen mit wenig Ein- kommen mithilfe dieser Regelung die Möglich- keit erhalten, Wohneigentum zu schaffen. In den 1920er-Jahren wurde in Hamburg eine Vielzahl von Genossenschaften gegründet. Sie profitierten vom Erbbaurecht dahingehend, dass ihren Mitgliedern, die selbst nur über we- nige Ersparnisse verfügten, die Baugrundstücke im Wege des Erbbaurechts von der Stadt für einen geringen Zins überlassen wurden. Ein gutes Beispiel für ein erfolgreiches Bau projekt in jenen Jahren ist die Fritz-Schu- macher-Siedlung in Hamburg-Langenhorn. Im Juli 1924 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft, mehrere Flächen im Wege des Erb baurechts zu vergeben. Gut 130 Flächen wurden daraufhin zur Verfügung gestellt und von verschiedenen kleineren Baugenossen- schaften mit Doppelhäusern und Einzelhäu- sern bebaut. Das war seinerzeit eine kluge Idee, die aber am Ende nur zum Erfolg führte, weil die städtische Beleihungskasse den Genossen- schaften zugleich mit zinsgünstigen Krediten unter die Arme griff. Den Genossenschaften fehlte ja nicht nur das Geld für den Kauf eines Grundstücks, sondern auch das Geld für den Bau von Wohngebäuden. Diese Doppelstrategie – Erbbaurecht und zinsgünstige Kredite durch die Stadt – dürfte ein Grund dafür gewesen sein, dass die Ge- nossenschaften seinerzeit ihre Geburt in schwieriger Zeit überstanden. In einer beson- deren historischen Situation, die von Woh- nungsnot und Armut weiter Teile der Gesell- schaft gekennzeichnet war, wurde maß- geschneidert ein Konzept entwickelt, diese Missstände zu überwinden. Ob dieses Kon- zept heute – von einer Wohnungsnot kann in Deutschland genauso wenig die Rede sein wie von weitverbreiteter Armut – noch sinnvoll ist, daran sind Zweifel erlaubt. Beim Erbbaurecht wird das Eigentum eines Grundstücks vom Eigentum des darauf errich- teten Gebäudes getrennt. Der Eigen tümer des Bodens (oftmals die Stadt) räumt – in der Re- gel über viele Jahrzehnte – dem Erbbaurecht- nehmer das Recht zur Bebauung ein. Dieser muss am Anfang also nur die Kosten für die Errichtung eines Wohngebäudes aufbringen. Allerdings muss er für die Nutzung des Grundstücks über den gesamten Zeitraum einen Erbbauzins zahlen, ohne dass er jemals Eigentümer des Grundstücks wird. Wenn das Erbbaurecht verlängert wird, geht alles wieder von vorn los. Für die Wohnungsgenossen- schaften, die auf einem derartigen Grund- stück immer nur Wohnungen zu bezahlbaren Konditionen anbieten und denen die Speku- lation mit Grund und Boden wesensfremd ist, heißt es: Ihre Mitglieder zahlen für das Erb- baurecht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag – und immer mehr im Vergleich zu einem Kauf. Das Problem am Erbbaurecht besteht da- rin, dass der Zins, den beispielsweise Genos- senschaften zahlen müssen, an den Grund- stückswert gekoppelt ist. Und da die Boden- richtwerte in der Regel immer nur steigen, steigen in der Folge immer auch die Erbbau- zinsen. Den Genossenschaften kann es so nicht mehr gelingen, sich von den Preissteige- rungen des Bodens abzukoppeln. Der Stadtplaner Fritz Schumacher (1869–1947) prägte 24 Jahre als Oberbau direktor das Hamburger Stadtbild – bis zur natio- nalsozialistischen Machtergreifung. Sein Ziel: modernen Großstädtern eine Heimat zu schaffen. Als eines der bedeutenden Siedlungsprojekte der 1920er gilt seine Reihen- und Doppelhaussiedlung in Langenhorn. 9 Womit haben die Genossen- schaften das verdient? Das können sie nur, wenn sie kaufen, diese Grundstücke generationsübergreifend behal- ten und später zum Wohle der Mitglieder erneut oder dichter bebauen. Das ist besser, als zum Wohle des Stadthaushalts einen dra- matisch erhöhten Preis zahlen zu müssen. Es ist doppelzüngig, einerseits bezahlbares Woh- nen mit gedeckelten Mietsteigerungen zu verlangen, andererseits bei Bodenpreisen an hohen Steigerungen selbst zu partizipieren. Derzeit hat die Stadt Hamburg Erbbau- recht auf rund 4.400 Grundstücke – das sind etwas mehr als vier Prozent der städtischen Fläche – bestellt. Die Hamburger Wohnungs- genossenschaften haben – meist vor vielen Jahrzehnten – ein Erbbaurecht von der Stadt erworben und darauf Wohngebäude er- richtet. Gut 500 dieser Verträge wurden vor- wiegend in den 20er- und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts geschlossen. Derzeit verfügen die Hamburger Woh- nungsgenossenschaften noch über rund 60 Erbbaurechte mit rund 20.000 Wohnungen. Bei vielen davon steht das Ende ihrer Laufzeit bevor. Die Entscheidung des Senats, öffent- liche Grundstücke künftig überwiegend auf dem Weg des Erbbaurechts zu vergeben, löste bei den Genossenschaften gemischte Gefühle aus. Zumal auch seit vielen Jahr- zehnten genutzte Erbbaurechtsgrundstücke betroffen sind, die von den Genossenschaf- ten nach Ende der Laufzeit des Erbbaurechts nicht mehr erworben werden können. Im Vergleich zu den 1920er-Jahren sind die meisten Genossenschaften heute in der Lage, einen fairen Preis für das Grundstück zu be- zahlen. Zudem haben sie seit mehr als hundert Jahren – selbst in den schlimmsten Zeiten der deutschen Geschichte – als ver- lässlicher Partner der Stadt unter Beweis ge- stellt, dass sie sozial agierende Unternehmen und Garanten des bezahlbaren Wohnens in Hamburg sind – also das Gegenteil von Im mo- bilien spekulanten. Es wäre daher heute sinnvoll, es den „Ver- mietern mit Werten“ selbst zu überlassen, ob sie Erbbaurechte mit vorhandenen Woh- nungsbeständen verlängern oder das Grund- stück lieber kaufen wollen. So wie es derzeit läuft, geht das Ganze jedoch einseitig zulas ten der Unternehmen, die die Nutzungsentgelte für eine Wohnung niedrig halten. Die Woh- nungsgenossenschaften fragen sich zu Recht: „Womit haben wir das verdient?“ AUSGABE SOMMER 2021 g r i h c S r e v i l O : t x e T ; M B T , g p j . r e s u e a H - r e h c a m u h c S _ g r e b s l u D : i i i i e t a D / k w / g r o a d e p k w e d / e g a N s a m o h T l i . i . : o t o F